Roland Roth

Auf dem Wege zur transnationalen Demokratie?

Der Beitrag von Protesten, transnationalen sozialen Bewegungen und Nichtregierungsorganisationen - eine vorläufige Zwischenbilanz

Der Aufstieg von international aktiven Nichtregierungsorganisationen, ihre wachsende Anerkennung bei den zahlreichen UN-Konferenzen seit dem Rio-Erdgipfel von 1992, ein dichter werdendes Netzwerk von transnational operierenden Bewegungsorganisationen und die Zunahme spektakulärer Proteste gegen die Politik zentraler transnationaler Wirtschaftsinstitutionen - allem voran Weltbank, Weltwährungsfond und Welthandelsorganisation - und anlässlich der Gipfeltreffen von Regierungsvertretern der reichen OECD-Welt (G 7) oder dem Weltwirtschaftsforum in Davos haben eine breite Debatte mit hochgesteckten Hoffnungen ausgelöst. Diese "neue Internationale" wird als Avantgarde einer sich entfaltenden "globalen Zivilgesellschaft" gesehen, die sich Projekte wie "humane global governance" oder "kosmopolitische Demokratie" auf die Fahnen geschrieben hat.

1. Das Beispiel Kosovo

Einen Höhepunkt erreichten die Hoffnungen auf eine menschenrechtlichen und demokratischen Ansprüchen genügende "neue" Weltordnung ausgerechnet im Kontext des Nato-Krieges um das Kosovo vom März bis Juni 1999. Ihn deutete z.B. Jürgen Habermas als "einen Sprung auf dem Wege des klassischen Völkerrechts der Staaten zum kosmopolitischen Recht einer Weltbürgergesellschaft" (Habermas 2000: 53); Ulrich Beck (1999) ernannte die Nato kurzerhand zum "bewaffneten Arm" von Amnesty International. Für unsere Fragestellung sind solche Einschätzungen bedeutsam. Sie stammen ja nicht nur von zwei prominenten Intellektuellen der Bundesrepublik, sondern auch von wichtigen Vordenkern in Sachen postnationale Demokratie, Globalisierung und Weltrisikogesellschaft. Wer über die Perspektiven transnationaler Demokratie nachdenkt, wird an Ereignissen wie dem Nato-Krieg nicht vorbeikommen (vgl. auch Shaw 2000; Rosenau 2000). Ohne auf die Kontroversen über diesen Krieg, seine Ursachen und Legitimationsversuche einzugehen (vgl. Merkel 2000; Narr et al. 1999), sind folgende Annahmen interessant:

a. die Idee des Sprungs in eine Weltbürgergesellschaft, die das hegemoniale Gefüge der nur begrenzt zivilisiert miteinander umgehenden Nationalstaaten sehr unterschiedlicher Stärke hinter sich lässt.

An die Stelle des - nie durchgehaltenen - Prinzips der Nichteinmischung und einer Achtung der staatlichen Souveränität in einer nationalstaatlichen Weltordnung soll eine transnationale Politik der Menschenrechte treten, die auch Regierungen von Nationalstaaten, die systematisch Menschenrechtsverletzungen betreiben (damals "Schurkenstaaten", heute "Problem- oder Risikostaaten") durch "humanitäre Intervention" in ihre Schranken verweist, wenn sie Gruppierungen der eigenen Bevölkerung verfolgen und umbringen. Nach mehr als 150 Jahren scheint es endlich so weit: "Die Internationale erkämpft das Menschenrecht". Mit dem neuen "militärischen Humanismus" (Chomsky 1999) erleben wir, so das Versprechen, eine progressive Überwindung der "Westfälischen Ordnung".

Diese humanitäre Deutung setzt sich nicht nur wegen ihrer kriegerischen Mitteln starken Zweifeln aus. Zunächst beruhte die Militäraktion nicht auf der Entscheidung einer demokratisch legitimierten "Weltgemeinschaft", sondern auf einer Selbstmandatierung der Nato. Die Regeln der UN-Charta und die Prozeduren des UN-Systems wurden nicht beachtet. Zudem ist der zentrale Akteur dieser Intervention, die Nato, keineswegs eine moralisch überlegene Gemeinschaft liberaler Demokratien, sondern ein Militärpakt entlang geostrategischer Interessen. Das Portugal des Diktators Salazars war dort ebenso eingebunden wie das Obristenregime Griechenlands oder die heutige türkische Regierung, die permanente Menschenrechtsverletzungen im Innern, Unterdrückung und Krieg gegen die eigene kurdische Bevölkerung zu verantworten hat. Die Fallstricke des Versuchs einer militärischen Sicherung von Menschenrechten wurden u.a. durch die Art der Kriegführung ("Kollateralschäden" durch Bombardierungen aus großer Höhe), einen wenig sorgsamen Umgang mit den Flüchtlingen und die spärlichen Wiederaufbau-Hilfen (statt des versprochenen Marshall-Plans) deutlich. Eine alternative Interpretation der Bombardierungen hebt gänzlich andere Konturen der "neuen Weltordnung" hervor. Eine militärisch und ökonomisch drückend überlegende "Staatengemeinschaft" des Nordens unter Führung der einzig verbliebenen Weltmacht USA behält sich das Recht auf gelegentliche Straf- und Polizeiaktionen vor, wenn schwache Staaten mißliebig werden oder sich dem dominierenden Einfluß zu widersetzen versuchen. Die Definitionsmacht liegt einzig bei diesen starken Staaten. "Ethischer Imperialismus" (Coates 1999) wäre hierfür eine angemessenere Charakterisierung - eine Perspektive, die weder Habermas noch Beck in ihren Beiträgen gänzlich ausschließen können.

b. das Bild vom "bewaffneten Arm" verweist auf einen Bedeutungsgewinn von Nichtregierungsorganisationen.

Die Vision einer Weltbürgergesellschaft wird nicht zuletzt von der verstärkten Sichtbarkeit transnationaler Nichtregierungsorganisationen beflügelt. Gelegentlich avancieren sie gar zu zentralen Akteuren internationaler Politik - eine Mutmaßung, die schon anläßlich der Brent Spar-Auseinandersetzungen 1995 vorgetragen wurde, als es Greenpeace gelang, die Versenkung einer ausgedienten Ölanlage in der Nordsee zu verhindern. Auf dem Höhepunkt dieser Kampagne druckte die "Washington Times" eine Karikatur, die den "Zeitgeist" einfing. Ein Regierungsmitglied äußerte am Kabinettstisch: "The United States needs to belong to an effective international organization. Let's quit the U.N. and Nato and join Greenpeace". Sicherlich haben sich einige humanitäre Organisationen (z.B. die "Gesellschaft für bedrohte Völker") für eine militärische Intervention stark gemacht, um der Verfolgung und Vertreibung der Kosovo-Albaner Einhalt zu gebieten. Amnesty International selbst blieb jedoch zurückhaltend und sprach sich weder für noch gegen eine militärische Intervention aus: "Wir wissen um die Gefahr, dass Staaten mit Einfluß und Macht den Begriff der Menschenrechte auf ihre Art besetzen, um ihre militärischen Ambitionen zu bemänteln"(ai 2000: 17f.). Bei der Nato-Entscheidung saß jedenfalls keine der Menschenrechtsorganisationen mit am Tisch. Sie spielten allenfalls die willkommene Begleitmusik zu einer "humanitären Militärintervention". Dass sie ohnehin für das Gros der zivilen humanitären Hilfsaktionen zuständig waren, gehört längst zu den Selbstverständlichkeiten internationaler Konflikte. Die große Mehrzahl der in Ex-Jugoslawien seit Beginn der 1990er Jahre, d.h. seit den Sezessionskriegen aktiven transnationalen NGOs und Protestbewegungen hat sich ohnehin nachdrücklich für zivile Interventionen im Sinne der Konfliktvermeidung und -lösung eingesetzt und dafür nicht nur in Deutschland in einem beachtlichen Umfang Spenden gesammelt und Unterstützung organisiert.

Zum Gesamtbild der "Weltbürgergesellschaft" gehört im Falle Ex-Jugoslawiens, dass mehrere tausend ausländische und internationale Organisationen und Gruppen aus der Friedens-, der Frauen- und der Menschenrechtsbewegung während der 1990er Jahre - also auch während der Bürgerkriege - versucht haben, ein dichtes Netz von einheimischen humanitären Initiativen und Friedensgruppen humanitär zu unterstützen und es auszubauen (exemplarisch Vack 1996). Zu den erstaunlichen Paradoxien der jugoslawischen Bürgerkriege gehört dieses Nebeneinander von Vertreibung, Terror, militärischer Gewalt bis hin zur "ethnischen Säuberung" einerseits und einer Vielfalt von zivilen, humanitären, friedens- und verständigungsorientierten Initiativen aus der Zivilbevölkerung andererseits, die zudem intensive ausländische Unterstützung durch Projekte ziviler Konfliktvermeidung und humanitärer Hilfe erfuhren. Für diese jahrelange transnationale Solidaritätsarbeit erhielten diese Solidaritätsgruppen von ihren Regierungen nicht einmal einen Bruchteil jener staatlichen Mittel, die dann für die Bombardierungen zur Verfügung standen. Was sich aus Becks Sicht als militärischer NGO-Sieg darstellte, erfordert vor diesem Hintergrund eine gänzlich andere Bewertung. Die Bombardierungen wurden zum fahrlässig herbeigeführten Desaster für die auf zivile Konfliktbearbeitungen setzenden in- und ausländischen Initiativen und NGOs - nicht zuletzt als Folge von Mißachtung und mangelnder Unterstützung durch die militärisch intervenierenden Staaten. Zudem haben die Bombardierungen ökologische Gruppen auf den Plan gerufen, die ein Umweltdesaster für die gesamte Region befürchten.

Das Bild der "transnationalen Demokratie" erfährt im Kontext des Nato-Kriegs noch andere Eintrübungen. Die Proteste der bundesdeutschen Friedensbewegung blieben insgesamt äußerst schwach - gemessen etwa an den Mobilisierungen gegen den Nachrüstungsbeschluss in der ersten Hälfte der 1980er Jahre und gegen den Golfkrieg von 1991. Da es aber auch keine Begeisterung für diese erste Kriegsbeteiligung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg gab und es in anderen Ländern (besonders in Griechenland) zu massiven Antikriegsprotesten kam, dürften die besondere nationale politische Gelegenheitsstruktur (neben der humanitären Legitimation und dem Charakter eines für die eigene Bevölkerung ungefährlichen "Theaterkriegs" - vgl. Kaldor 2000) eine wichtige Rolle für die überraschende Mobilisierungsschwäche der Friedensbewegung gespielt haben. So zögerten viele Anhänger, die gerade erst ins Amt gekommene rot-grüne Regierung durch massive Proteste in Verlegenheit zu bringen. Ohne den Regierungswechsel von 1998 wäre die deutsche Beteiligung am Nato-Krieg ungleich schwieriger und umstrittener gewesen.

Von der neuen Qualität einer "humane global governance", einer globalen Zivilgesellschaft bleibt so der schale Geschmack einer höchst selektiven Nutzung zivilgesellschaftlicher Akteure und ihrer Motive durch ein hegemoniales Militärbündnis. Statt einen qualitativen Sprung zur markieren, bestätigt der Militäreinsatz im Kosovo die Serie halbherziger und weithin - gemessen an den humanitären Zielen - höchst fragwürdigen internationalen Interventionen. " Dass der internationalen Staatengemeinschaft der politische Wille fehlt, konsequent überall dort, wo Menschen Massenübergriffen ausgesetzt sind, militärisch einzugreifen, ist unübersehbar" - so die Bilanz des internationalen Generalsekretärs von Amnesty International, Pierre Sané (ai 2000: 12). Starke Nationalstaaten und ihr Militärbündnis waren die Hauptakteure der Intervention. Von einem deliberativen Prozeß oder auch nur einer gemeinsamen Konferenz der insgesamt in die Konflikte in Ex-Jugoslawien involvierten regionalen und ausländischen NGOs und sozialen Bewegungen ist jedenfalls nichts bekannt.

Wohlgemerkt, es geht hier nicht um die Kontroversen zwischen Bellizisten und Pazifisten oder um Kriegsgründe und die Legitimationsfigur "humanitäre Intervention", sondern um ein bedeutendes aktuelles Ereignis, das Hinweise für den Beitrag von NGOs zur Demokratisierung transnationaler Politik liefern könnte und dafür in Anspruch genommen wurde. Entgegen dem oft gehörten Hochjubeln der "neuen" globalen Akteure wurde in diesem Fall ihr durchaus vorhandenes ziviles Engagement von den staatlichen Akteuren nicht genutzt sondern marginalisiert. Mit dem Rückgriff auf staatliche Gewaltmittel wurden die regionalen und transnationalen Bewegungsakteure und Initiativen ohnehin auf einen Zuschauer- oder Opferstatus zurückgeworfen. Zweifel nährt dieses Beispiel auch, was die neue demokratische Qualität einer militarisierten transnationaler Politik angeht.

Man mag das Beispiel des Nato-Kriegs gegen Ex-Jugoslawien für unfair oder schlecht gewählt halten. Der Brent-Spar-Erfolg von Greenpeace oder die Proteste von Seattle, die im Dezember 1999 die "Milleniumsrunde" der WTO platzen ließen, stimmen hoffnungsvoller, wenn es um die Einflusschancen transnationaler Mobilisierungen auf die internationale Politik geht. Gleichwohl ist das Exempel Kosovo instruktiv, macht es doch deutlich, daß internationale Politik zumindest im "Ernstfall" noch immer von starken Staaten und ihren Bündnissen, von Geheimverhandlungen und militärischen Machmitteln dominiert wird. Nationale und transnationale Räume sind heute von einer Fülle von zivilgesellschaftlichen Akteuren bevölkert, deren Zahl und Vernetzung in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen hat (Salamon et al. 1999). Aber internationale Politik löste sich dennoch keineswegs in deliberative Formen von "governance" auf, in denen zivile Akteure eine wesentliche Rolle spielen. Vielmehr muß weiterhin mit Nationalstaaten, Bündnissystemen und Krieg gerechnet werden. Eine nicht versenkte Ölplattform oder eine verhinderte Welthandelskonferenz sollten dies nicht vergessen machen. Vor diesem Hintergrund kann es nicht verwundern, dass auch eine Durchsicht der inzwischen reichlich vorhandenen Literatur zu NGOs und transnationalen Bewegungen (vgl. Brand 2000; Walk/Brunnengräber 2000; Smith/Guarnizo 1998; Della Porta et al. 1999; Cohen/Rai 2000; Guidry et al. 2000; ) keine schlüssigen Antworten auf folgende Fragen bieten:

Verlässliche Antworten auf diese Fragen werden u.a. durch folgende themenspezifische Schwierigkeiten behindert:

a. Mehr noch als auf nationaler Ebene sind transnational orientierte und aktive Gruppierungen analytisch schwer zu fassen. Die bekannten Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen Protesten, sozialen Bewegungen und neuen sozialen Bewegungen potenzieren sich. Dies hat zur Konsequenz, dass eine kaum überschaubare Begriffsvielfalt für die gleichen Untersuchungsobjekte existiert. Was sich z.B. am Rande oder in den Fluren der großen UN-Konferenzen zusammenfindet, wird z.B. als "global society", "global civil society", "international society", "world civic politics", "transnational relations", "NGOs", "transnational social movement organisations", "global social change organisations", "transnational advocacy networks", "global social movements" beschrieben (O'Brien 2000: 12). Die terminologische Frage ist keine rein akademische, da mit der Begriffswahl möglicherweise jeweils unterschiedliche Ausschnitte eines heterogenen Akteursfelds beobachtet werden - was die Gefahr von Scheinkontroversen potenzieren könnte.

b. Transnationale Politik ist offensichtlich besonders zerklüftet und ein gemeinsamer Nenner schwer auszumachen. Gegenwärtig vollzieht sich transnationale Politik wesentlich in mehr als 300 Regimen, die mehr oder weniger "privat" (Cutler et al. 1999), von bestimmten Interessengruppen oder Einzelstaaten geprägt und die mehr oder weniger eng mit dem UN-System verknüpft sind. Was für ein Politikfeld bzw. "Regime" wie etwa die Klimapolitik beschrieben werden kann, stellt sich z.B. für die grenzüberschreitende Menschenrechtspolitik ganz anders dar, die Erhaltung biologischer Vielfalt hat andere Kontextbedingungen, institutionelle Gefüge und Akteurskonstellationen als die Entschuldungskampagne für die ärmsten Länder der Welt. Versuche, durch eine vergleichende Analyse solcher Regime und ihrer Entwicklungsdynamik die aktuellen Konturen transnationaler Politik institutionell genauer zu fassen, stecken noch in den Anfängen (Braithwaite/Drahos 2000). Dies ist umso bedauerlicher, weil sehr unterschiedliche NGOs in diesen Regimen in sehr verschiedenen Formen aktiv bzw. eingebunden sind. Ein Großteil der Kontroversen über den Einfluß von transnationalen Bewegungen und NGOs gründet darauf, daß Erfahrungen in einem oder zwei Regimes vorschnell verallgemeinert werden.

c. Schnelle Veränderung gehört zu den wenigen Beschreibungselementen, die in der aktuellen Globalisierungsdebatte weitgehend unstrittig sind. Häufig ist von einer revolutionären Umbruchsituation die Rede (vgl. Shaw 2000). Dies ist kein komfortabler Untergrund für wissenschaftliches Arbeiten. Das rasche Wachstum transnationaler NGOs und Proteste könnte sich deutlich relativieren, wenn die enorme Dynamik in den Blick genommen wird, die von anderen Akteuren des Globalisierungsprozesses, wie z.B. transnationalen Konzernen oder von den globalen Finanzmärkten ausgeht. "The pace of international economic activity and developing interdependence of national economies is head spinning" (Jackson 1999: 1). Beschleunigung ist ein wesentliches Element der aktuellen Globalisierungsprozesse und seiner technologischen Grundlagen, wie z.B. dem Internet (vgl. Castells 1998). Diese Zeitdimension ist für die Einschätzung von NGO-Politik und ihrer Reichweite besonders wichtig, weil sie häufig auf globale Probleme mit enormer Beschleunigung (Klimaveränderungen, Ozonloch, Ressourcenverbrauch etc.) gerichtet ist. Die Frage lautet nicht nur, ob mit den NGOs überhaupt "Rettendes" heranwächst, sondern ob es dies schnell genug tut und die für nachhaltige Lösungen nötigen Entschleunigungsprozesse bewirken kann.

d. Offensichtlich fällt es schwer, das Spezifikum der globalen, transnationalen, früher einmal "international" genannten Ebene der Politik analytisch angemessen zu präsentieren. Ein Symptom ist die Fülle von unzulänglichen Analogieschlüssen, die sich dem nationalstaatlichen Vorbild verdanken (z.B. Mehrebenenpolitik, global governance). Sicher dürfte allerdings sein, dass transnationale Politik nicht einfach als Maßstabsvergrößerung nationalstaatlicher Institutionen und Prozesse gefaßt werden kann (vgl. dagegen Höffe 1999). Dies gilt besonders für die demokratische Frage. Konzepte wie Volkssouveränität, Bürgerstatus, Gewaltmonopol, Öffentlichkeit und Repräsenstation sind allenfalls auf nationaler Ebene institutionell gefaßt. Auf transnationaler Ebene fehlt jede institutionelle Entsprechung, die z.B. die Vision einer "demokratischen Weltrepublik" stützen könnte. Angesichts der politischen Brisanz von Migration, Flucht und Asyl fällt es schwer, den Übergang vom Staatsbürger zum Weltbürger ohne radikale Veränderungen im globalen Ungleichheitsgefüge zu denken.

2. Zur gegenwärtigen Verfassung internationaler Politik

Äußerst gegensätzliche Deutungen bestimmen heute die Auseinandersetzung um die Strukturen internationaler Politik und die Bedeutung, die NGOs in diesem Kontext zukommt. Die Unsicherheit in der Sache treibt zuweilen erstaunliche begriffliche Neuschöpfungen hervor. So spricht Rosenau (2000) von "governance of fragmegration", um die Gleichzeitigkeit von Fragmentierung und Integration in der der transnationalen Politik zu kennzeichnen. Schematisch lassen sich aber zwei extreme Positionen unterscheiden:

Eine "realistische" Schule sieht die Nationalstaaten weiterhin als die zentralen Akteure auf dem internationalen Terrain. Nicht zuletzt das Anwachsen der Zahl der Nationalstaaten hat zwischen ihnen ein extremes Gefälle befördert. Wer Staaten wie die USA mit Burkina Faso oder Vanuatu vergleicht, wird extrem ungleiche militärische und ökonomische Potenzen konzedieren. Unipolare Ordnung mit den USA an der Spitze, Herrschaft einer Triade mit den regionalen Zusammenschlüssen NAFTA, EU und APEC oder Dominanz der G-7-Staaten sind einige der darauf gegründeten Beschreibungen. Nach dem Zerfall des Sowjetsystems hat sich eine neue unipolare Weltordnung herausgebildet, darunter ein System von "starken Staaten" und "schwachen Staaten" (Bauman 1997). Der ökonomische Globalisierungsprozeß verschärft diese Polarisierung. Starke Staaten sind noch stärker geworden, während am anderen Ende Exklusionserscheinungen zunehmen.

Eine Demokratisierung dieses internationalen Gefüges erscheint illusionär. Das System der Vereinten Nationen kann nur funktionionieren, solange es gewichtet ist, d.h. dem Machtgefälle zwischen den Nationalstaaten Rechnung trägt. Aus hegemonialer Perspektive ist eine Demokratisierung der internationalen Institutionen und ihre Weiterentwicklung in Richtung demokratische Weltregierung weder notwendig noch wünschenswert, würde sie doch zu einer Schwächung der nationalstaatlichen Kompetenzen der USA und der starken Staaten führen - darin sind sich die wesentlichen Vordenker des US State Department und der angelagerten Denk-Tanks einig. Im Kontext der Jugoslawien-Bombardierungen wurde zudem hervorgehoben, daß sich die "neue Nato" und die USA an ihrer Spitze auf eine "militärtechnologische Revolution" stützen könne, um ihre hegemoniale Rolle wahrzunehmen.

Aus dieser Sicht sind transnational agierende NGOs entweder zu vernachlässigen oder Krisensymptom und Ärgernis. "NGO-bashing" ist angesagt, denn wenn sie sich erfolgreich einmischen, schwächen sie die nationalstaatliche politische Handlungsfähigkeit. "If governance in the face of disorder is the challenge, then NGOs and global civil society are at best irrelevant and at worst counterproductive, for the simple reason that they cannot fulfill the key functions that government must perform to ensure a civilized world" (Schwenninger 2000: 43). 

Eine in sich sehr heterogene "global governance"-Schule beschreibt dagegen internationale Politik als Netzwerk, "dessen Fäden durch Marktbeziehungen, politische Aktionen der Nationalstaaten und der internationalen Institutionen und durch zivilgesellschaftliche Einmischungen zur Lösung der genannten ‚Weltprobleme' geknüpft werden" (Altvater/Mahnkopf 1999: 512). Forcierte wirtschaftliche Globalisierung und wachsende Interdependenzen der Weltgesellschaft haben zu einer "Entmächtigung" des Nationalstaats geführt, dessen Souveränität und Gewaltmonopol nur formal intakt geblieben sei. Damit habe auch die internationale Politik ihren Charakter verändert und könne nicht mehr angemessen als strategische Interaktion unabhängig operierender Mächte gefasst werden (Habermas 1998: 107). Stattdessen kommt es daneben zu territorial übergreifenden Blockbildungen und es entstehen transnationalen Regime für spezifische Politikbereiche. Die Konsequenz ist eine verschachtelte Mehrebenenpolitik (z.B. von der Kommune über nationale Institutionen und die Europäische Union bis zu regulativen Gremien des UN-Systems), die allerdings deutliche Effizienz-, Inklusions- und Legitimationslücken aufweist. NGOs sind entweder in diese Regime und ihre Netze einbezogen oder protestieren auf den verschiedenen Niveaus gegen diese Mehrebenenpolitik. Die Zunahme transnationaler Themen und Institutionen haben eine NGO-Explosion ausgelöst und die zunehmende Einbindung von NGOs in internationale Verhandlungssysteme im Sinne von "global governance" bewirkt.

Die mit dieser "postnationalen Konstellation" (Habermas) verknüpfte Aushöhlung national verfasster demokratischer Institutionen erfordere demokratische Antworten in zwei Richtungen: Eine "Vertiefung" nationaler demokratischer Arrangements und eine "Ausdehnung" des demokratischen Prozesses über die Staatsgrenzen (McGrew 1998: 377). NGOs und soziale Bewegungen können, so zumindest wohlmeinende Beiträge aus der governance-Perspektive, in beiden Dimensionen einen bedeutenden Beitrag leisten.

3. Versionen und Visionen transnationaler Demokratie

Das Nachdenken über transnationale Demokratische mündet leicht in Spekulation und Ratlosigkeit, "weil die Idee, daß eine Gesellschaft demokratisch auf sich einwirken kann, bisher nur im nationalen Rahmen glaubwürdig implementiert worden ist" (Habermas 1998: 95). Entsprechend breit ist das Angebot. Daß auch im nationalen Rahmen uneingelöste demokratische Ansprüche an liberale Demokratien aufgelaufen sind, haben die Bewegungsmobilisierungen der letzten Jahrzehnte verdeutlicht (vgl. Roth 1999).

Zwei grundlegende Lesarten kosmopolitischer Demokratie lassen sich unterscheiden:

Grob lassen sich drei Varianten bzw. politische Projekte zur Zivilisierung und Demokratisierung gegenwärtiger Globalisierungsprozesse unterscheiden, die nicht auf einen Weltstaat setzen (vgl. McGrew 1998; Held/McGrew/Goldblatt/Perraton 1999):

a. liberal-demokratischer Internationalismus. Er orientiert sich am Leitbild der "Nachbarschaftsdemokratie", wie es die Commission on Global Governance gezeichnet hat. Im Zentrum steht die Reform der internationalen Organisationen, vor allem die Entwicklung eines repräsentativeren und demokratischeren UN-Systems. Gedacht ist an vielfältige neue regionale Institutionen, aber auch eine Völkerversammlung und ein Forum der globalen Zivilgesellschaft bei den Vereinten Nationen. Eine globale Bürgerethik (Friede und Verzicht auf Machtpolitik als Leitmotive), der sich vor allem viele NGOs verschrieben haben, soll einer robusten utilitaristische Orientierung in der internationalen Politik zum Durchbruch verhelfen. Der Vorschlag hat freilich mit einem Paradox zu kämpfen: "Genau in dem historischen Augenblick, da liberale Demokratie von den Kräften der Globalisierung transformiert wird, schlägt man ihre Institutionalisierung auf globaler Ebene vor" (McGrew 1998: 394).

b. radikaler Kommunitarismus. Während der liberal-demokratische Internationalismus auf neue transnationale Institutionen setzt, fordert diese Strömung mit dem Motto "going local" (Shuman 2000) eine basisdemokratische Neubegründung von Demokratie unterhalb und jenseits der Nationalstaaten. John Burnheim (1987) hat schon vor Jahren sein Konzept der "Demarchie" vorgestellt, das im Einklang mit anarchistischen Traditionen eine Abschaffung der Nationalstaaten und eine kommunale Neubegründung demokratischer Selbstregierung proklamiert. Andere Autoren haben sich für einen weltweiten, lokal gegründeten Föderalismus eingesetzt, der zwar keine Abschaffung, aber einen Rückbau der nationalstaatlichen Ebene einschließt (Narr/Schubert 1994: 223ff.). Neue soziale Bewegungen und transnationale Initiativen sind wichtige Protagonisten solch radikaler Umbauprojekte, indem sie "neben der Suche nach neuen Modellen und Formen sozialer, politischer und ökonomischer Organisation nach dem Prizip der Selbstbestimmung, den Bürgern bewusst zu machen, dass sie zu sich überlappenden (lokalen und globalen) Überzeugungs- und Interessengemeinschaften gehören" (McGrew 1998: 399).

c. kosmopolitische Demokratie. Ausgangpunkt dieses Konzepts ist die Ausgestaltung eines "global citizenship", d.h. die Stärkung kosmopolitischen Rechts, die sich aus der Weiterentwicklung der allgemeinen Menschenrechtserklärungen und ihrer institutionellen Umsetzung in Gestalt von internationalen Gerichtshöfen ergeben kann. Auf diesem Wege erscheint eine allmähliche Abkehr vom Primat der Machtpolitik zugunsten demokratischer Entscheidungen möglich. Dies erfordert auch die Demokratisierung globaler ökonomischer Beziehungen und die Schaffung transnationaler Formen der demokratischer Machtausübung. Dazu wurden zahlreiche Vorschläge entwickelt (vgl. Archibugi/Held 1995; Archibugi/Held/Köhler 1998), die bis zur Forderung nach einem globalen Parlament reichen (Falk/Strauss 2001).

Die hier skizzierten Versionen transnationaler Demokratie sind unterschiedlich gut durchgearbeitet und weisen eine gemeinsame Schnittmenge auf. Ohne NGOs und transnationale Proteste kommen sie jedenfalls nicht aus. Während der lokal begründete Föderalismus einen Entwicklungsbruch voraussetzt, sehen sich die Varianten des liberal-demokratischen Internationalismus und der kosmopolitischen Demokratie eher im Trend: "The pressures to democratize the international system are part of an evolutionary social process that will persist and intensify" (Falk/Strauss 2001: 220). Aus "realistischer" Perspektive und mit Blick auf das Kosovo-Exempel sehen sich alle Projekte "globaler Demokratie" zwei skeptischen Nachfragen ausgesetzt: Vernachlässigen sie nicht den Einfluß von Militär und Sicherheitspolitik in den internationalen Beziehungen und unterstellen sie nicht kontrafaktisch eine friedlichere Welt, die auf den Einsatz von Gewalt zur Durchsetzung von Interessen verzichtet? Vernachlässigen sie nicht das enorme Machtgefälle in der internationalen Arena und damit die Gefahr, daß angesichts dieser Machtverhältnisse jedes Modell globaler Demokratie zu einem "neuen Imperialismus" mutiert?

4. Der Beitrag von NGOs zur Demokratisierung internationaler Politik

In der internationalen Politik gelten die 1990er Jahre als Dekade der NGOs. Sie waren in dieser Zeit nicht nur der lebendigste Akteur, sondern konnten auch die größte Wachstumsrate vorweisen. Zuvor galten sie als relativ marginales Phänomen, das in den meisten Einführungen in die internationale Politik nicht einmal erwähnt wurde. Zu diesem Wandel trugen nicht zuletzt die zahlreichen UN-Gipfelkonferenzen dieses Jahrzehnts bei, auf denen sich die NGOs als die eigentlichen Gewinner in Szene setzen konnten - zunächst eher auf parallelen Gegengipfeln, zunehmend aber als geladene Teilnehmer. Am Ende des Jahrhunderts ließen die massiven Proteste gegen die WTO in Seattle die Vision entstehen, der "Seattle-Mensch", wie ihn der Ökonom Paul Krugman taufte, könne gegen den "Washington-Konsens" von IWF und Weltbank eine Globalisierung "von unten" durchsetzen. Einfache Leute aus den unterschiedlichsten Milieus, die sich über das Internet zusammenfanden, hatten "global corporate power" zumindest herausgefordert und die sozialen, ökologischen und demokratischen Kosten der neoliberalen Globalisierung "von oben" skandaliert (Goodman et al. 2000). Damit schienen Hoffnungen in Erfüllung zu gehen, die seit dem Auftauchen der NGOs gehegt wurden. Indem sie das Potential der progressiven Kräfte auf transnationaler Ebene erweitern und verstärken, könnten sie demokratisierend wirken. "This might then provide the political space and social possibility to begin to mobilize for the solution to deep-seated problems of social inequality, intolerance, environmental degradation and the militarization of the planet" (Gill 1991: 311).
Jenseits solch weitgesteckter Erwartungen, an denen kein Mangel herrscht, wurden und werden die Potentiale der NGOs für eine Demokratisierung internationaler Politik vor allem in folgenden Dimensionen gesehen:

Neuer Akteur
Mit den NGOs hat ein neuer Akteur die internationale Arena betreten, der relativ unabhängig von Staat und Privatwirtschaft zivilgesellschaftliche Perspektiven in den politischen Prozeß einbringt. Sicherlich lassen sich die Spuren der heutigen NGOs und ihrer Vorläufer weit in die Geschichte zurück verfolgen, gleichwohl ist ihr enormer Aufschwung ein Phänomen der letzen Jahrzehnte, besonders jedoch der 1990er Jahre. "Explosion globaler politischer Aktivitäten" (McGrew 1998: 386), als Transnationalisierung privater politischer Aktivitäten: "globale Zivilgesellschaft", allen voran von sozialen Bewegungen: Umweltbewegung, Friedensbewegung, Frauenbewegungen und religiöse Bewegungen.
Für zahlreiche globale Probleme unserer Tage beheben bzw. verringern sie ein grundlegendes Akteursdefizit. Damit bevölkert sich die transnationale Ebene mit jenen zivilgesellschaftlichen Akteuren, die bereits zuvor das nationale politische Gefüge vor allem durch die Institutionalisierung eines Bewegungssektors erweitern konnten. NGOs erscheinen in dieser Perspektive als "transnationales Pendant zu lokalen Selbsthilfegruppen und neuen sozialen Bewegungen" (Brunnengräber 1998: 70).

Neue Themen
Konsequenterweise wird mit den neuen Akteuren die Artikulation von vernachlässigten, von den staatlichen Akteuren und Unternehmen nicht wahrgenommenen bzw. berücksichtigten Interessen und Themen verbunden. NGOs überwinden mit ihrer neuen Agenda die thematische Selbstbegrenzung internationaler Politik und schaffen Ansatzpunkte für eine transnationale Öffentlichkeit, Wissen und Öffentlichkeit sind ihre wesentlichen Machtressourcen (Hirsch 1999: 10). Sie wirken als "epistemic communities", als "Wissensgemeinschaften", die sektorale Öffentlichkeiten schaffen können (Zürn 1998: 358). Dies gilt für die inzwischen anerkannten globalen ökologischen Herausforderungen, aber auch für soziale Ausgrenzungen und andere Menschenrechtsverletzungen. Für kaum eines dieser Themen können NGOs ein Urheber- und Alleinvertretungsrecht beanspruchen, aber sie sind die Akteure, die sich beharrlich um diese neuen Themen kümmern und sie mit Professionalität und Expertise vorbringen. Damit erweitern sie die Verantwortlichkeit globaler Politik. Ihr Beitrag zur Demokratisierung internationaler Politik ist daher wesentlich katalysatorisch.
Selbst wenn ihr Einfluss auf staatliche Politik und Diplomatie insgesamt beschränkt bleibt, können NGOs die Politik von internationalen Regierungsorganisationen und anderen nichtstaatlichen Akteuren beeinflussen - z.B. Braithwaite und Dahos (2000) haben in einer umfangreichen Studie über global business regulations auf solche Einflüsse in Bereichen wie Transport, Nahrungsmittel, Telekommunikation etc. aufmerksam gemacht.

Erweiterung des Handlungsrepertoires
NGOs haben die Handlungsmöglichkeiten internationaler Politik bereichert, indem sie einen politischen Zwischenbereich "unkonventionellen Handelns" erstritten haben, der im klassischen staatlichen Arsenal zwischen Diplomatie, Außenhandel und Krieg gar nicht vorgesehen war. Grenzüberschreitende Formen des Konsumentenboykotts, Protests, zivilem Ungehorsams, symbolischer Aktionen, Mobilisierungen und Kampagnen gehören heute zum Erscheinungsbild internationaler Politik. Wesentliche Protagonisten sind jene Akteure aus der "NGO"-Welt, die weder über staatliche Unterstützung noch die von transnationalen Konzernen verfügen können und stattdessen darauf angewiesen sind, auf Formen der Protestpolitik zurückzugreifen. Sie betreiben damit eine "Außenpolitik von unten" (Krippendorf 2000: 189ff).

Globale Öffentlichkeit
Während nationalstaatliche Akteure auf dem internationalen Parkett üblicherweise einzig mit Blick auf ihr nationales Publikum agieren, ist es den transnationalen NGOs gelungen, Ansätze zu einer globalen Öffentlichkeit für drängende Weltprobleme zu schaffen. "When transnational activists direct their efforts beyond the state, they are politicizing global civil society" (Wapner 1995: 313). Auch wenn Skepsis angebracht ist, ob wirklich eine gemeinsame Sprache für wesentliche Problemdefinitionen gefunden wurde, gibt es immerhin Ansätze eines solchen Esperanto (Heins 2000). Die dadurch mögliche transnationale Öffentlichkeit wir gelegentlich hoffnungsvoll als "advanced expressions of an emerging world public opinion" (Lipietz 1995: 98) gesehen.

Polititische Gegenentwürfe
Das Demokratisierungspotential von NGOs wird nicht nur für einzelne Politikfelder gesehen, sondern in der Herausbildung umfassender Alternativen im und zum gegenwärtigen Globalisierungsprozeß. So werden NGOs u.a. als "fünfte Säule der Demokratie" gehandelt (Messner 1998: 279), deren spezifische Leistung in der Verknüpfung der lokalen mit der globalen Ebene zu sehen ist. "We see NGO politics as a crucial counterweight to dominant trends in the global political economy and at all levels, from the local to the global...NGOs are critical because the biophysical and social conditions necessary for sustainability must be translated into a politics that is at once local and global, and both economic and moral" (Princen/Finger 1994: x). In welche Richtung die von NGOs favorisierten Alternativen weisen, ist dabei offen. Sie werden sowohl zu den Akteuren einer defensiven "Anti-Globalisierungsbewegung" (Altvater/Mahnkopf 1999: 15) gezählt als auch zu den Kräften, die eine alternative Globalisierung anstreben. Eine gestärkte globale Zivilgesellschaft, ein kosmopolitisch orientierter Föderalismus und demokratisierte transnationale Organisationen sind drei Schwerpunkte auf diesem Weg. Beide Richtungen werden auch gelegentlich zu Doppelstrategien kombiniert (Cox 1999: 28).

Ökologische Demokratie
Veränderte Zeithorizonte können als wesentlicher Beitrag von NGOs zur ökologischen Demokratie angesehen werden. NGOs agieren als Teil längerfristig orientierter "epistemic networks", "welche Brücken schlagen zwischen Laien und Experten, zwischen Aktivisten und Professionellen, zwischen lokalen und globalen Einheiten, und sie wirken auf diese Weise als Katalysatoren für dezentrales Umweltlernen" (Altvater/Mahnkopf 1999: 515). Durch Proteste tragen sie zur Entschleunigung bei und halten damit Spielräume für demokratische Optionen offen.

Stärkung und Demokratisierung des UN-Systems
Zu den offensichtlichen Effekten des NGO-Booms gehört die Bereicherung und Erweiterung des UN-Systems und der UN-Konferenzen durch neue Forderungen und Themen, durch Expertisen und Programme, durch die Überwachung, Durchführung und Evaluation von Maßnahmen. NGOs sind im UN-System als Reformkraft wirksam, die nicht nur das Gewicht seiner Einrichtungen im Konzert der internationalen Politik stärkt, sondern auch die Runderneuerung der Vereinten Nationen in demokratischer Absicht auf die Tagesordnung gesetzt hat.

Kein ernsthafter Beobachter transnationaler Politik wird diese demokratisierenden NGO-Impulse leugnen können. Strittig ist allerdings deren Reichweite und Nachhaltigkeit. Die Zahl der ernüchternden Bilanzen hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Nicht wenigen Insidern gelten NGOs als die "meistüberschätzten Akteure der 90er Jahre" (Wahl 1997: 293). Mit der boomenden Beteiligung an Weltkonferenzen und UN-Regimen haben die materiellen Politikergebnisse vielfach nicht mitgehalten. Viel Aufwand, wenig Erfolg lautet das Fazit partizipatorischer Anstrengungen. Der durch die Weltgipfel angestossene Prozeß ist vielfach zum Stillstand gekommen. Dies war zumindest das meistgebrauchte Wort zur Charakterisierung der "Peking + 5" Nachfolgekonferenz vom Frühjahr 2000 in New York. Die im gleichen Jahr abgehaltene Klima-Folgekonferenz in Den Haag blieb ganz ohne Ergebnis.

Kritische Töne sind wieder lauter vernehmbar, die davor warnen, die Demokratisierung transnationaler Politik ausschließlich in die Hände zivilgesellschaftlicher Akteure zu legen. Die 1990er Jahre verzeichneten nicht nur einen Boom demokratisch orientierter Initiativen. Es war auch grenzüberschreitend das Jahrzehnt eines anwachsenden Rechtsextremismus, mafia-ähnlicher Gruppierungen und eines religiösen Fundamentalismus. "Like civil society within borders, civil society across borders has ist dark side" (Carothers 1999: 27). Dies hat Warnungen wieder lauter werden lassen, die das NGO-Wachstum in das Negativszenario einer neofeudalen Welt, eines neuen Mittelalters einreihen, in der Regierungsaufgaben an Private abgetreten werden und der Raum verantwortlicher Politik schrumpft (Cerny 1995; 1999). "The world will be a neofeudal one, in which overlapping and democratically unaccountable private regimes, regional arrangements, transnational market structures, ‚global cities', nongovernmental organizations (NGOs), quasi-autonomous NGOs, and international quasi-autonomous NGOs, with rump governments - the extreme form of the residual state - attempting to ride free on global/local trends of short-term competitive interests. Collective action will take many forms, and the state will be perceived as relatively powerless with regard to the persuit of a wide range of collective goals" (Cerny 1995: 625). Das nicht zuletzt von den NGOs vorangetriebene Wachstum der globalen Zivilgesellschaft muß nicht die versprochenen Demokratisierungseffekte erzielen. "The emergence of global civil society will not necessarily lead to a more peaceful and unified world...the effect may be the opposite: the emergence of a neo-medieval world with high levels of conflict and confrontation" (Lipschutz 1992: 419).

Auch wer diesen dunklen mittelalterlichen Deutungsrahmen nicht akzeptiert, wird nicht umhin können, Schwachstellen der NGO-Politik zu konzedieren. Sie treffen weder auf alle NGOs noch auf alle Politikfelder zu, werden aber in Fallstudien häufiger zur Debatte gestellt:

Globale Zivilgesellschaft und die Dominanz des Nordens
Transnationale NGOs werden häufig als positiver Ausdruck einer sich entfaltenden globalen Zivilgesellschaft gesehen. Die vorliegenden empirischen Studien nähren Zweifel an dieser Diagnose, vor allem wenn sie mit demokratischen Erwartungen verknüpft ist. Zunächst wiederholt sich in der NGO-Welt zumeist, was wir aus der Staatenwelt kennen. Die Rede von Netzwerken und Knoten kann nicht verdecken, daß in der transnationalen Kooperation von NGOs bzw. in transnationalen NGOs selbst die Verteilung von Einfluß, Macht, Ressourcen, Personal, Themen ein deutliches Nord/Süd-Gefälle aufweisen. Ressourcenstarke "Edel-NGOs" aus den USA, Kanada und Westeuropa dominieren meist die Szene und setzen die Agenda (Jäger/Paulus 2000). Abgestuft schließen sich drei bis vier weitere Ebenen der NGO-Kooperation an bis am Ende die Ebene der betroffenen Bevölkerung erreicht ist. Zwischen diesen verschiedenen Schichten der NGO-Welt herrschen durchaus Spannungen. Dass die Interessen der untersten Ebene in der Politik der NGO-Spitze repräsentiert werden, können diese vernetzten Strukturen keineswegs garantieren. Konfliktfälle gibt es - besonders bei ökologischen Problemen (vgl. Mittelman 2000) - in Fülle. Das Beispiel "Greenpeace" verdeutlicht, daß die Nord/Süd-Dominanz auch innerhalb von transnationalen NGOs erheblich ist. Dies gilt nicht nur für das Personal und die Entscheidungsstrukturen, sondern auch für die Auswahl der Kampagnen, die wesentlich auf das spendenfreudige Publikum der OECD-Welt zugeschnitten sind (vgl. Roth 1996). 
Mechanismen, die dafür sorgen, dass sich globale Ungleichheiten in der NGO-Welt niederschlagen, gibt es viele. An erster Stelle dürften es die personellen und organisatorischen Ressourcen sein, die notwendig sind, um permanent, kompetent, respektiert und mobilisierungsfähig auf der internationalen Bühne zu agieren. Der "Mittelstandsbauch" politischer Beteiligung, wie wir ihn im nationalen Kontext kennen, prägt auch die transnationale Ebene. 
Dies bleibt nicht ohne Einfluss auf die Themen und ihre Ausdeutung ("framing"). So ist das Gros der transnationalen Themen stark OECD-geprägt. Drei Hinweise mögen genügen. Im Spannungs- und Bedingungsverhältnis von zivilen, politischen und sozialen Menschenrechten betonen die Initiativen des reichen Nordens stets die zivilen und politischen Dimensionen, auch die "dritte Generation" von Menschenrechten (Umwelt, Kommunikation etc.), während die Initiativen des Südens meist vergeblich auf der zentrale Bedeutung sozialer Menschenrechte beharren (Nuscheler 1998). Das "gendering" von Weltbankprogrammen (Mikrokredite, Grundversorgung) blieb nicht zuletzt deshalb begrenzt, weil die dominierende US-Frauenbewegung für solche Themen kein mobilisierungsfähiges Interesse zeigte (O'Brien et al. 2000). Auch im Kampf um die Erhaltung der Artenvielfalt sprechen Nord- und Süd-NGOs eine unterschiedliche Sprache (Heins 2000). Transnationale NGOs sind, so kritische Beobachter, weitgehend ein "Projekt" des Nordens. Die transnationale Zivilgesellschaft sei weniger "global", sondern eine Projektion westlicher ökonomischer und politischer Macht (Carothers 1999: 27).
Aber nicht nur das Nord/Süd-Gefälle trübt das Bild einer demokratisch gestimmten globalen NGO-Welt. In ihren Netzwerken agieren Gruppen, die nicht nur unterschiedlich stark sind, sondern auch konträre Ziele verfolgen. Während sich das öffentliche Interesse auf jene NGOs konzentriert, die vernachlässigte Interessen und globale Probleme anwaltschaftlich artikulieren, ist gerade das UN-System mit NGOs bevölkert, die stark durch die Interessen von Staaten, internationalen Organisationen, Verbänden und transnationalen Unternehmen geprägt sind. Nicht von ungefähr gilt die International Chamber of Commerce (ICC) als eine der einflußreichsten NGOs. Schon der Finanzbedarf der NGO-Politik erhöht Kooptationsgefahren und fördert die Instrumentalisierung durch Regierungen, zumal die Kontrollchancen gering und eine institutionelle Verantwortlichkeit oder Haftung nicht gegeben ist.

"Erweiterter Staat"
NGOs entstehen in hohem Maße nachfrageabhängig (Weltkonferenzen, UN-Regime etc.), d.h. staatliche und internationale Institutionen und politische Vorgaben entscheiden in vielen Fällen darüber, ob es einen "Bedarf" an NGOs gibt, ob sie in transnationale Verhandlungssysteme einbezogen werden, ob ihre Expertise geschätzt oder ignoriert wird. Stärker noch als auf nationaler Ebene sind NGOs von öffentlicher Alimentierung abhängig, weil sie ungleich mehr Ressourcen benötigen, um auf dem internationalen Parkett kompetent und kontinuierlich aktiv sein zu können. Häufig sind NGOs deshalb nicht einem - mehr oder weniger von Staat und Markt unabhängigen - "Dritten Sektor" zuzuschlagen, sondern sie existieren als staatliche Vorfeldorganisationen mit lizensiertem Zugang zum nationalen und internationalen Politikbetrieb. Die an Antonio Gramscis Konzept von Zivilgesellschaft orientierten Analysen der internationalen Politik sehen in ihnen deshalb Akteure, die als "erweiterter Staat" fungieren (Hirsch 2000; Görg/Brand 2000).

Segmentierte Politik
Haushalte, erfahrbare Wechselwirkungen, institutionelle Vorgaben, rechtliche Regelwerke, politische Programme, Ideologien und Legitimationszwänge setzen auf nationaler Ebene der starken Tendenz zur Politiksegmentierung gewisse Grenzen. Sie entfallen weitgehend auf internationaler Ebene. Transnationale Politik entfaltet sich daher in Form von separaten Politikfeldern, die in unterschiedlichen Akteurskonstellationen und Organisationsmustern auf divergierden Institutionalisierungsniveaus meist unverbunden und häufig gegenläufig mit wechselnder Verbindlichkeit und Sanktionsgewalt betrieben wird. Schon diese Anhäufung separater Politikwelten spricht gegen die Rede vom "globalen Staat", weil sie nicht jenes Minimum an Interessenvermittlung, Kohärenz und Legitimation aufweisen müssen, das für staatliche Politik charakteristisch ist. Selbst das unübersichtliche und weit verzweigte UN-System, das sich nur noch lexikalisch erschließen läßt (Volger 2000), ist eher Ausdruck dieser Politiksegmentierung als ein institutioneller Rahmen zu dessen Überwindung. NGOs profitieren von diesen fragmentierten "Regimen", weil sie sich in einzelnen Politikfeldern, wie z.B. Entwicklungspolitik und humanitäre Hilfe, frühzeitig verankern konnten, während sie in anderen Bereichen noch immer allenfalls protestierend Einfluß suchen. Indem sie sich an den Themen und Einflußstrukturen ihres spezifischen Regimes ausrichten, um ihre dortigen Chancen zu wahren, sind sie zu wesentlichen Promotoren dieser Politiksegmentierung geworden. Ihre Expertise ist für viele Regime inzwischen unentbehrlich. Die politische Kosten dieser Spezialisierung sind allerdings groß. Zum einen kappt sie sachliche und fachliche Zusammenhänge zu anderen Politikfeldern und zu den gesellschaftlichen Umwelten mit der Gefahr selektiver Blindheit. Die Inkorporierung von NGOs führt zwar zu einer breiteren Interessenberücksichtigung bei internationalen Verhandlungen, aber die Komplexitätssteigerung durch die große Zahl und Heterogenität der NGOs hat eine Schattenseite. Die neuen Akteure machen politische Übereinkünfte noch schwieriger, mindern die staatlichen Regulierungschancen und stärken damit unbeabsichtigt neoliberale Kräfte. NGOs tragen, so ein pointiertes Urteil, eher zur Anarchie der transnationalen Politik bei, als sie zu kompensieren (Schwenninger 2000).
Diese Fragmentierung schlägt nicht nur auf die Erfolgsmöglichkeiten von NGOs durch, sondern birgt die Gefahr einer hoch spezialisierten professionellen Politik, die sich von den lebensweltlichen Motiven und Protestenergien abkoppelt, wie sie z.B. in sozialen Bewegungen und Initiativen wirksam werden. Damit trocknet zudem eine Themen- und Legitimationsquelle aus, die erheblich zum Aufschwung der NGOs beigetragen hat. Kritiken am Legitimationsdefizit von NGOs führen in die Irre, wenn sie die äußerst dünne Legitimationsdecke internationaler Politik zu sehr strapaziert. Gleichwohl sind NGOs in Gefahr aufgrund der fehlenden Rückbindung an Betroffene, an öffentliche Debatten, Wahlen und Sachvoten als potenzierter St. Florian zu wirken. Sie agieren für und im Namen einer Weltgemeinschaft, aber nicht "durch" sie. 
Eine weitere Folge der thematischen Selektivität von NGOs ist die Konzentration auf neue und vor allem "weiche" Politikbereiche, wie z.B. die Umwelt-, Sozial-, Entwicklungs- und Menschenrechtspolitik. In den "harten" Feldern globaler Politik, etwa der Finanz-, Handels- und Wirtschaftspolitik, aber auch in der Fragen militärischer Sicherheit und Rüstung fehlt zumeist die institutionelle Kooperationsbereitschaft. Dies hat jüngst eine Befragung von Teilnehmern des NGO-Millenium-Forums der CONGO (Conference of NGOs in Consultative Relationship with the UN) im Mai 2000 bestätigt, die nur in sehr geringer Zahl Kontakte zu IWF und Weltbank und keinerleit Kontakte zur WTO unterhielten (Schade 2000). Die Erfolge der internationalen Kampagne zum Verbot von Landminen stellen eher eine Ausnahme dar (Gebauer 1998).

Privatisierung durch NGOs
Auf nationaler Ebene wird die Begeisterung für Selbsthilfe und Bürgerengagement häufig im Zusammenhang mit dem Rückzug des Staates aus seiner Verantwortung gesehen. Gerade in den etablierten Feldern des NGO-Engagements vollzieht sich etwas ähnliches. So kompensieren z.B. in der Entwicklungspolitik und humanitären Hilfe NGOs zunehmend den Rückzug von staatlichen Akteuren und Internationalen Organisationen. Entgegen der oft beschriebenen vernetzten Governance-Strukturen, in die NGOs als zusätzliche Akteure eingebunden sind, vollzieht sich in der humanitären Hilfe faktisch eine Privatisierung, die den NGOs wesentliche Aufgaben überläßt, während sich staatliche Akteure darauf beschränken, solch "private" Nothilfe medial, macht- und militärpolitisch zu verwerten - bis hin zur Legitimationshilfe für "humanitäre Interventionen" (vgl. Reinhardt 2000).

Medienabhängigkeit
Ihre materielle und legitimatorische Ressourcenschwäche führen für viele NGOs in eine hohe Medienabhängigkeit. "Weil nicht-staatliche Organisationen und Initiativen die offizielle Politik nur über die Herstellung von transnationaler Öffentlichkeit unter Druck setzen können, kommen sie...ohne den ‚symbolischen Inszenierungszauber' massenmedial gesteuerter Protestkampagnen nicht mehr aus" (Altvater/Mahnkopf 1999: 514). Dies erzeugt zusätzliche demokratische Kosten. Dazu gehört die medientaktische Selektion von Themen und Aktionsformen, die Orientierung am Publikumsgeschmack, strategische Meinungsbeeinflussung und nicht zuletzt die Vorliebe für werbewirksame Erfolgsmeldung, um auf dem Spendenmarkt erfolgreich zu sein. Moderner Ablaßhandel lautet das Verdikt. Die moralische Inszenierung von "Gut" und "Böse" wirkt eher gegenaufklärerisch. Optimal für die Wachstumschancen von NGOs dürfte eine Kombination von professionell inszenierten Medienereignissen durch direkte Aktionen einerseits und Elite-Kampagnen sein, die sich kooperativ an die Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft wenden - der Strategie-Mix, mit dem Greenpeace im letzten Jahrzehnt so erfolgreich war. Beide Strategien kommen ohne die aktive Beteiligung von einer großen Zahl von Menschen aus bzw. reduziert sie auf sekundäre Unterstützungsaktionen. Massenmobilisierungen könnten im Gegenteil strategische Kalküle und die Kampagneneffizienz beeinträchtigen (Lahusen 1996). Nicht von ungefähr ist es um Greenpeace ruhiger geworden, seit die Gipfeltreffen der Weltpolitik von einer bunten Protestkarawane begleitet werden.

5. Perspektiven transnationaler Mobilisierungen und von NGO-Politik

Die schematische Gegenüberstellung von positiven und negativen Beiträgen der NGOs und Protestkampagnen zur Demokratisierung transnationaler Politik ist Ausdruck von Verlegenheit. Wir wissen es nicht so genau und sollten vorschnelle Urteile vermeiden. Die noch vor wenigen Jahren als Hoffnungsträger verabschiedeten NGOs haben sich seit Seattle im Winter 1999 - mit der Unterstützung zahlreicher anderer Protestakteure - wieder zurück gemeldet. In vielen Themenbereichen hat die NGOisierung internationaler Politik gerade erst begonnen.

Der Trend spricht für ein beschleunigtes NGO-Wachstum. Die zeitlich am weitesten zurückreichende empirische Analyse internationaler NGOs auf der Basis des Yearbook of International Organizations zeigt ein enormes Wachstum in diesem Jahrhundert: 1900 - 200, 1930 - 800, 1960 - 2000, 1980 - 4000 NGOs. Das Muster wiederholt sich auch bei einzelnen Themen wie Umwelt oder Frauenemanzipation, wobei bereits die Gründung der UNO und entscheidend die Weltkonferenzen der 1990er Jahre für das Wachstum der NGOs förderlich waren, die Weltkriege jeweils massive Rückschritte brachten (Boli/Thomas 1999). Heute können wir NGOs als (ungewollte) Kinder der Globalisierung betrachten, die besonders im letzten Jahrzehnt günstige Entwicklungsbedingungen vorfanden. NGOs gibt es seit langem, aber nun wachsen sie schnell "both feeding and being fed by globalization" (Carothers 1999: 28). Strukturelle Transformationen der globalen politischen Ökonomie, wie wir sie seit den 1990er Jahren erleben, wirken in paradoxer Weise als verbesserte Chancenstruktur für globale soziale Bewegungen:

Der Hinweis auf solche Gelegenheitsstrukturen darf nicht als Automatismus gedeutet werden. Es bedarf der Akteure, die solche Gelegenheiten wahrnehmen. Dass die Suche nach neuen Formen der Einbettung und Regulierung Protestbewegungen und mehr noch NGOs Chancen bieten, ihre Vorstellungen bei Konferenzen und in Verhandlungsrunden einzubringen, sagt noch nichts über deren faktischen Einfluss. Immerhin haben NGOs und transnationale Bewegungen dazu beigetragen, "Globalisierung" als einen kontroversen, alternativen- und facettenreichen politischen Prozess sichtbar zu machen. Die denkbaren Variationen über mögliche Zukünfte transnationaler Politik haben zugenommen. Diese Zwischenbilanz gibt allerdings keinen Anlass, in rosigen Farben von einer "global governance" zu schwärmen, deren demokratisches Herz die NGOs bilden. "Eine Verabschiedung des in Wissenschaft und Öffentlichkeit gehandelten Mythos NGO mit all seinen undifferenzierten normativen Zuschreibungen wäre demnach eine wesentliche Voraussetzung für demokratische und emanzipative Politik" (Hirsch 1999: 16). Der empirische Kern der "realistischen Schule" - mit der Betonung von Hegemonie, von militärischer und ökonomischer Macht, ist gerade dann zu beachten, wenn es um demokratische Alternativen geht, die es ohne die Mobilisierungen von NGOs und transnationalen sozialen Bewegungen nicht geben wird.

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