Verschiedenheit als Chance
Muslime in Deutschland und die Rolle der Residenzgesellschaft


Von Sabiha El-Zayat

Bedeutet die muslimische und türkische Kultur in Deutschland eine Bereicherung oder eine Bedrohung? Die Beantwortung dieser Frage ist im Fluß. Wir alle sind nicht bloße Beobachter dieses Prozesses einer gemeinsamen gesellschaftlichen Zukunfts-Findung, sondern können vielmehr in die eine oder andere Richtung Einfluß nehmen.

Beschäftigt man sich mit diesem Thema, so fällt auf, daß bereits ein irgendwie geartetes Nebeneinander der Kulturen in Deutschland Realität ist. Doch eine philosophisch-soziologische Akzeptanz und schließlich ein Umsetzen in ein Miteinander hinkt hinterher. Muslimische und nichtmuslimische BürgerInnen in der BRD haben mit einer ganzen Reihe von Kommunikationshemmnissen zu kämpfen.

Ein nur marginal religiös, aber überwiegend ethnisch definiertes Wir-Gefühl verhindert oftmals den gleichberechtigten Austausch der Kulturen und minimiert die Kontakte der Minderheit zur Residenzgesellschaft. Schlimmer noch, es fördert die Abschottung und Ghettoisierung der Minderheit mit dem Erfolg einer weiteren Verhärtung der ethnozentrischen Standpunkte. Das für türkische MigrantInnen gegenwärtige Gefühl des Nichtangenommenseins und Minderwertigseins führt im Gegenzug zu Arroganz und zur Unfähigkeit von Selbstkritik. Solche Migrationsprobleme können sich dann in religiösen Gefühlen kristallisieren und bewirken eine ganz eigene "deutschlandspezifische" Ausprägung des Islams - die verbunden sein kann mit kritisierbaren Reaktionsweisen seitens der Migranten wie einer Herausbildung von Absolutheitsansprüchen oder Überlegenheitsgefühlen bis hin zur Aufpfropfung nationalistischer Anschauungen, Reaktionsweisen, die die Lehre des Islam zutiefst ablehnt.

Überspitzt könnte man sagen, daß sich durch einen mißlungenen Kulturaustausch ein degenerierter, pervertierter Islam züchten läßt. Dieser kann weder im Interesse der hier lebenden Muslime noch der Nichtmuslime sein.

Den vielzitierten Vorurteilen - sie werden zu allererst für die Misere des fehlenden Miteinanders verantwortlich gemacht - wird hierzulande vor allem mit Versuchen eines Ausgleichs des Informationsdefizits begegnet, das dabei festgestellt wird. Dies alleine scheint aber nicht den gewünschten Effekt des Abbaus von Vorurteilen zu erzielen. Vermutlich, weil neben dem rationalen Wissensdefizit die emotionale Ablehnung des Anderen und Fremden mindestens ebenso verantwortlich für die Hartnäckigkeit der Vorurteile ist.

Die in den Medien in einer Fülle angebotenen Informationen über das kulturelle und religiöse Leben der türkischen MigrantInnen führen nicht zu einer Einstellungsänderung ihnen gegenüber. Konsumenten dieser Medien entnehmen offenbar selektiv nur die Informationen, die es ihnen ermöglichen, ihre Prädispositionen aufrechtzuerhalten. Ähnlich bewirkten die in den USA gestarteten Medienkampagnen zum Abbau von Vorurteilen gegenüber Andersfarbigen keine nennenswerte Einstellungsänderung.

Das Vorurteil ist kein psychisches Gespinst falscher Informationen, es ist immer auch emotionaler Ausdruck von Selbstwertgefühl. Information ohne praktische Einflußnahme auf die Kommunikationssituation hat gegenteilige Wirkungen.

Die muslimische Kultur kann dann eine Bereicherung für die jeweilige Residenzgesellschaft sein, wenn es gelingt, erneut eine besondere genuine Eigenschaft des Islams zu nutzen. Historisch läßt sich belegen, daß die muslimische Kultur fähig war, Sitten und Gebräuche anderer Kulturen, mit denen sie in Kontakt kam, in die eigene zu integrieren, sofern sie nicht gegen essentielle Prinzipien der Gerechtigkeit verstießen. So hat beispielsweise der Kalif Omar das byzantinisch-persische Verwaltungssystem mitsamt seinen Beamten und den Listen (Diwan) in der Originalsprache beibehalten, da er der Überzeugung war, daß sich dieses bewährt hat und Sinn macht. Umgekehrt wird bis heute in Andalusien das sogenannte "Wassergericht" abgehalten, welches einst mit den maurischen Muslimen kam. Es hat sich bewährt, und ist zur Lösung der spezifischen Probleme dieser Region geeignet.

Einen ähnlich unverkrampften und souveränen Umgang der Kulturen miteinander gilt es wieder anzustreben. Beachtet werden muß hierbei allerdings, daß naturgemäß an Mehrheit und Minderheit unterschiedliche Anforderungen gestellt werden. Sicher kann von der Minderheit eine gewisse Integrationsleistung (nicht Assimilation), insbesondere die Erlangung sprachlicher Kompetenz, erwartet werden, eine rechtliche und soziale Gleichberechtigung allerdings kann nur von der Mehrheit gewährt werden. Doch das sich wandelnde und flexible Gesellschaftsgefüge verlangt allen BürgerInnen eine Integrationsleistung ab. Für die deutschstämmige Mehrheit bedeutet das eine Re-Integration in die neu entstehende Kultur.

Könnten sich Angehörige beider Kulturen darauf einlassen, wäre es möglich, ein gemeinsames Gestalten unserer Gesellschaft Realität werden zu lassen. Muslimische BürgerInnen könnten endlich diese Gesellschaft auch als die ihre betrachten, könnten zur Lösung unserer aktuellen Fragen gefordert werden und sich positiv einbringen.

Im Hinblick auf dieses Entwicklungspotential muß wohl jede Kultur, mit der es sich auf gemeinsame wichtige Werte einigen läßt, als willkommene Bereicherung unserer Gesellschaft gesehen werden. Vielleicht ist gerade auch die optische Verschiedenheit der BürgerInnen eine Chance, ein ständiger Anstoß, über die eigenen Ängste und Unzulänglichkeiten zu reflektieren und gemeinsam unsere Gesellschaftsstruktur zu verbessern.